Von Inge Braune - Weikersheim

Die Mongolei?

Kamele, Jurten und Nomaden, hat man gehört. Dazu noch Dschingis Khan, Schamanen, Stutenmilch. Und: weit, weit weg. Stimmt alles. Doch
das Land, seit 1992 eine zwischen den beiden staatlichen Riesen China und Russland liegende parlamentarische Demokratie, hat jede Menge mehr zubieten, als die obengenannten Schlagworte ahnen lassen. Es ist ein Land der Gegensätze, das Uuriintuya „Uuree“ Dorjpalam gemeinsam mit ihrem Mann Bolorkhuu im
Uhu-Seniorentreff gut 30 interessierten Gästen auf Einladung der Weikersheimer Eine-Welt-Gruppe vorstellten.

Wie begrüßt man in der Mongolei Gäste? Mit einer Tasse schwarzem oder grünem Tee, der mit Milch, einer Prise Salz und Fleischbröckchen versetzt serviert wird. Und mit einem doppelt gefalteten, zum Gast hin geöffneten blauen Tuch, auf dem ein erster Willkommens-Snack angeboten wird. Die offene Faltseite steht symbolisch für das offene Herz, mit der ein Gastin der Nomadenjurte begrüßt wird. Hereinspaziert in eine ziemlich fremde, doch ungemein freundliche Welt.

Dünn besiedelt
Die ist, ganz grob, viereinhalbmal so groß wie Deutschland, bewohnt allerdings nur von knapp dreieinhalb Millionen Einwohnern. Damit ist die Mongolei mit nicht einmal 2,2 Personen pro Quadratkilometer der weltweit am dünnsten besiedelte vollsouveräne Staat. Den besuchte die Weikersheimerin Ruth Hoof, Mitglied der örtlichen Eine-Welt-Gruppe – und lernte in Uuree eine Reiseleiterin kennen, mit der sie seither eine enge Freundschaft pflegt. Die perfekten Deutschkenntnisse der jungen, in einer Nomadenfamilie aufgewachsene Frau überraschten den Gast aus Deutschland. Mit 19 sei sie aufgebrochen, stellte sich nicht nur nach dem Leben in der Weite dem Kulturschock des Stadtlebens in der Millionenmetropole Ulaanbaatar, sondern auch der Herausforderung, als Au Pair-Mädchen in Deutschland die Sprache zu lernen, berichtete ihr Uuree.
Inzwischen hat Ruth Hoof bei mittlerweile vier Reisen fast die ganze Mongolei kennen gelernt – auch den großen und keineswegs nur bei Touristen beliebten Weltladen „Mary & Martha“, der unter anderem durch den fairen Handel mit regionalem Kunsthandwerk viele Existenzen sichert. Es ist ein Land krasser Gegensätze, das Uuree und ihr Mann – auch er wuchs unter Nomaden auf – den Besuchern vorstellen. Gut die Hälfte der Bewohner lebt konzentriert in den fünf größten Städten,
wenn auch, wie Uuree berichtet, in den um die Metropolen wachsenden Randbezirken in oft großer Armut und ohne staatliche Unterstützung in Jurtenvierteln. Wovon sie leben? Manche sammeln Müll, stellen daraus Neues her, handeln auf dem Schwarzmarkt oder verdienen sich, sofern sie über ein Auto verfügen, etwas Geld als Taxifahrer, berichtet Uuree.


Erst vor ein paar Tagen stellte sie auf der Internationalen Tourismusmesse in Berlin ihr noch junges, als Familienbetrieb geführtes mongolisches Reiseunternehmen vor. Das orientiert sich an ökologisch nachhaltigem, ethischem und sozial gerechtem Tourismus und will authentische Begegnungen mit dem Land und seinen Menschen ermöglichen.

Viele Nomaden
Rund 200 000 Familien, also etwa ein Drittel der Einwohner, leben auch heute noch nomadisch, brechen viermal im Jahr ihre Jurten ab, ziehen mit ihren zwei- bis dreihundert Tieren umfassenden Herden – Kamele,Rinder, Pferde Schafe und Ziegen gehören dazu, und mindestens ein Hund pro Familie – zum nächsten Weidegebiet. Nicht ein Krümel verbleibt am verlassenen Wohnplatz, wenn die Scherengitter, Felle, Stoffe, kurzum das Haus samt komplettem Hausrat verladen ist.
Zu den früheren vierbeinigen Transportmittelngesellt sichauchin der Steppe heute ganz selbstverständlich das Motorrad, in den Jurten, mit denen die Nomaden oft vier mal jährlich von Weideplatz zu Weideplatz umziehen, finden sich heute auch solarbetriebene Kühlschränke, Fernsehgeräte und Handys, die für etwas mehr Komfort und vor allem für Anschluss an die Welt sorgen.

Ein Raum für alle, Arbeit für alle: Nomadenkinder werdenfrüh einbezogen in die in Haushalt und Viehzucht erforderliche Arbeit. Alle zwei Stunden müssen im Sommer die Stuten gemolken werden, die Herstellung der Milchprodukte kostet ebenso viel Zeit wie die der mongolischen Erfindung der Instant-Suppe; das getrocknete, geräucherte und zu feinem Pulver zerriebene Fleisch verdirbt auch im Hochsommer nicht und verwandelt sich, mit
Wasser auf dem kleinen, mit Dung beheizten Ofen auch auf Wanderzügen schnell in eine herzhafte Stärkung.

Leben ohne Uhr
Uhren gehören bis heute nicht zur Grundausstattung in den Jurten: Das durch die Dachöffnung fallende Licht genügt als Sonnenuhr. Kaum etwas sei erholsamer für gestresste, dem ständigen Blick auf die Uhr unterworfene Europäer, als eine Weile mit mongolischen Nomaden zu leben: Der weite Blick übers Land, die Stille, die in der Gobi nicht einmal durch Vogelgezwitscher unterbrochen wird, der ruhige Umgang mit den Tieren, auch das Mittun bei der Handarbeit in den Jurten ermöglicht offensichtlich einen ganz anderen Rhythmus des Atems, des Lebens. Und die Gastfreundschaft, die jedem Ankommenden unmittelbar gewährt wird – in den Städten müsse man sich natürlich inzwischen doch anmelden – tut ein übriges.

Der mit zahlreichen Bild- und Filmeindrücken ergänzte Vortrag dürfte für Fernweh gesorgt haben, vor allem aber für den Wunsch nach mehr Wissen über das von Halb - und Sandwüste, Baum- und Grassteppe, sowie extremem Kontinentalklima geprägte Hochland mit den fast auf 4000 Meter aufragenden
Gipfeln.

Wetten, dass die Eine–Welt-Gruppe Weikersheim und insbesondere die Mongolei-Reisende Ruth
Hoff für einen Ausbau der Kulturbrücke in die Mongolei sorgen werden?

Link für Zeitungseite: Zwischen zwei Riesen: Leben in der Mongolei (fnweb.de)